Kaplan Peter Minja in der vom Brandanschlag gezeichneten St. Michael-Kirche in Cheju. Foto: Fritz Stark |
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Christen auf Sansibar
"Wir wollen niemanden bekehren"
Alles klar auf Sansibar? Wahrlich nicht. Die Christen auf der Inselgruppe werden von islamischen Fanatikern bedrängt. Dennoch nennt der katholische Bischof Shao die Muslime seine Freunde und setzt auf Dialog. Wie passt das zusammen?
Der Schock steht dem Kaplan immer noch ins Gesicht geschrieben, wenn er den Anschlag beschreibt. Mit Kerosin gefüllte Autoreifen hatten die aufgewiegelten Jugendlichen als Brandsätze in die Kirchenbänke geschleudert, die kleine Orgel und ein hölzerner Ambo zerstört sowie die Fensterscheiben eingeschlagen. Die Rauchschwaden des Feuers schwärzten die Wände. Es hätte alles viel schlimmer kommen können, schildert Peter Minja, 55, von der St. Michael-Gemeinde in Cheju, wenn nicht einige Soldaten der naheliegenden Kaserne seinem Notruf umgehend gefolgt wären und durch ihr schnelles Erscheinen die Täter vertrieben hätten. Nur ein beherztes Eingreifen der Feuerwehr habe verhindert, dass die Kirche bis auf die Grundmauern niedergebrannt sei.
Das erst vor wenigen Jahren neu errichtete Gotteshaus ist an jenem Pfingsttag des Vorjahres nur knapp seiner völligen Zerstörung entgangen. Zwar kann es weiter für Gottesdienste genutzt werden. Die Attacke der Jugendlichen hat aber große Verunsicherung in der Gemeinde hinterlassen. In den letzten Monaten sind in Tansania insgesamt 25 Brandanschläge auf Kirchen und zwölf religiös motivierte Brandanschläge auf Bars verübt worden. Der Großteil davon auf Sansibar. Menschen kamen dabei zum Glück bisher nicht zu Schaden.
Katholischer Priester niedergeschossen
Als Weihnachten erstmals in der Geschichte Sansibars ein Anschlag auf einen katholischen Priester verübt wurde, schien auch das Tabu politisch motivierter Gewalt gegen Kirchenvertreter gebrochen: Pater Ambrose Mkenda, 52, wurde am Abend des 25. Dezember bei der Rückkehr von einer Weihnachtsmesse von zwei Motorradfahrern verfolgt und in Tomondo niedergeschossen. Schwer verletzt wurde er in ein Hospital nach Dar es Salaam gebracht. Vermutlich um ein Zeichen gegen die Eskalation politischer Gewalt zu setzen, besuchten ihn dort hochrangige Politiker, unter ihnen Staatspräsident Jakaya Kikwete und der ehemalige Staatspräsident Benjamin Mkapa. Am 27. Dezember erlag der Geistliche seinen Verletzungen. Nach Festnahme der mutmaßlichen Täter stellte sich heraus, dass der Pfarrer Opfer eines Überfalls gewesen ist, der nichts mit Christenfeindlichkeit zu tun hat.
Dass islamischer Extremismus auf Sansibar an Boden gewinnt, ist dennoch unübersehbar. Bei der Frage nach den Ursachen plädieren Kaplan Minja und sein Bischof Augustine Shao zuallererst dafür, nicht pauschal „den Moslems“ die Schuld für die Anschläge zu geben. Dass es fundamentalistisch orientierte und ideologisch fehlgeleitete Moslem-Jugendliche waren, daran haben auch sie wenig Zweifel. Aber die Geistlichen bestehen darauf, sehr genau zwischen Extremisten und der überwältigenden Mehrheit der muslimischen Bevölkerung zu unterscheiden, die an einem friedlichen Miteinander der Religionen interessiert seien. „Es ist ein sehr kompliziertes Geflecht von Gründen, die zu diesen Zwischenfällen geführt haben“, versucht Bischof Shao die Situation zu beschreiben. Als wolle er unter allen Umständen vermeiden, Öl in das Feuer zu gießen, betont er, dass Muslime seine Freunde seien und dass Islam und Christentum auf Sansibar seit Jahrhunderten Hand in Hand und friedvoll an der Entwicklung des Landes arbeiteten. „Die große Mehrheit der Sansibari sind Menschen guten Willens. Das sollten wir bei allen Problemen nicht vergessen“, hebt der Bischof hervor.
Wurzel des Christentums in Ostafrika
Sein Hinweis auf die lange Geschichte friedlicher Koexistenz zwischen Islam und Christentum in Sansibar spielt auch deshalb eine besondere Rolle, weil sie ein Indiz dafür ist, dass auf Sansibar selbst kaum die tieferen Gründe für die jüngsten Anschläge liegen. Vom 17. bis 19. Jahrhundert stand Sansibar unter der Herrschaft des Sultans von Oman. 1862 kamen die Spiritanerpatres nach Sansibar. Das Christentum auf Sansibar entwickelte sich zur Wurzel des Christentums in Ostafrika. Von Sansibar aus begann vor rund 150 Jahren die Evangelisierung Ostafrikas. Auch nach dem Ende des omanischen Sultanats und der Vereinigung mit Tanganjika 1964 wurde die Präsenz der Kirche in Sanisbar niemals ernsthaft in Frage gestellt.
Die jüngsten Attacken gegen die kleine christliche Minderheit sind demnach kaum historisch zu begründen. Sie gründen vielmehr auf die Einflussnahme von Fundamentalisten aus arabischen Ländern und dem Sudan, die muslimische Separatisten unterstützen. So fordert die „Uamsho“, eine Vereinigung für die Mobilisierung und Verbreitung des Islam, seit Jahren die Unabhängigkeit Sansibars und will den Inselstaat unter die Gesetze der Scharia, das islamische Recht, stellen.
Separatisten wollen Unabhängigkeit
Neuen Auftrieb hat die Bewegung durch die 2011 eingeleitete landesweite Diskussion um eine neue Verfassung Tansanias erhalten, die 2014 in Kraft treten soll. Die Separatisten wollen diese Gelegenheit nutzen und vor Inkrafttreten der neuen Verfassung die Inseln in die Unabhängigkeit führen. Islamische Wanderprediger aus dem Ausland durchstreifen seither Sansibar, um gegen die vermeintlichen Auswüchse westlicher Dekadenz zu wettern und das Volk gegen alles und jeden aufzuwiegeln, was nicht muslimisch ist.
Bischof Shao begegnet diesem Trend mit nüchterner Sachlichkeit. Er ruft die Christen auf, sich tatkräftig an der Diskussion um die neue Verfassung zu beteiligen und für Werte wie die Union mit dem Festland, die Würde der Frau oder die Bildung der Jugend lautstark einzutreten, damit Sansibar eine gute Entwicklung nimmt. Dabei setzt er vor allem auf die Stimmen sachkundiger Laien unter den Christen wie Ärzte, Anwälte oder Lehrer. Aufgabe als Kirche sei es, missionarisch zu sein, sagt Shao. Evangelisierung unter solchen Bedingungen wie in Sansibar könne aber nicht bedeuten, Menschen zu bekehren: „Wir wollen niemanden bekehren, das macht der Heilige Geist“. Seine Aufgabe sei es, Zeuge zu sein in einer Minderheitensituation. Mission heute sei nicht ein „Überstülpen“ eines Glaubens, sondern der Einsatz für Menschen. Sein besonderes Zeugnis als Spiritaner bestehe darin, den herausfordernden Dienst für die Kirche in Sansibar als Bischof anzunehmen. Deswegen setzt er alles daran, Projekte zu realisieren, die der gesamten Bevölkerung des halbautonomen Teilstaates zugute kommen.
Unter den 1,2 Millionen Einwohnern Sansibars leben derzeit etwa 11.300 Katholiken. 18 diözesane Priester, zwei Spiritanerpatres und 46 Ordensfrauen aus sechs Gemeinschaften bilden das kirchliche Personal. Mit diesem Stamm und vielen engagierten Laien will die Kirche auf Sansibar „Zeuge sein“, was bedeutet, das Leben, die Sorgen und die Nöte mit den Menschen zu teilen. „Wir helfen den Menschen, sich ihrer Situation bewusst zu werden. Wir evangelisieren durch Gesundheit, Bildung, Erziehung, soziale Aktivitäten und Entwicklung. Wir unterstützen die Menschen dabei, sich zu entwickeln“, lautet das missionarische Credo des Spiritanerbischofs. Dass dies nicht nur wohlfeile Worte sind, belegen die zahlreichen Sozialeinrichtungen und Entwicklungsprojekte der Kirche auf Sansibar, die sie trotz ihrer Minderheitensituation unterhält.
Kirche genießt großes Vertrauen
Nicht nur die meisten Menschen, denen diese Einrichtungen zugute kommen, auch der Großteil ihrer Mitarbeiter sind Muslime. Die Offenheit dieser Einrichtungen für alle Menschen – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit – trägt wesentlich dazu bei, dass die Kirche auf Sansibar bei der überwältigenden Mehrheit der muslimsischen Bevölkerung großes Vertrauen genießt. Ein dichtes Netz von Kindergärten, Gesundheitsstationen, Beratungsstellen für Frauen und Familien und Sozialstationen der Kirche spannt sich über die beiden Inseln. Im Bau befinden sich eine Kaplanei in der Nähe der Universität von Sansibar, die Studenten eine Anlaufstation bieten soll, sowie ein kleines kirchliches Tagungszentrum an der Küste, das zentrale Weiterbildungsmaßnahmen für kirchliche Mitarbeiter ermöglichen soll. Mit Vorliebe verweist Bischof Shao aber auf die Einrichtungen, die seit langem etabliert sind. Dazu gehört das Alten- und Pflegeheim Welezo im Norden von Sansibar-Stadt. In dem ehemaligen Leprösenzentrum, das unter staatlicher Aufsicht steht, betreuen Missionsschwestern vom Kostbaren Blut gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Helfern rund 50 alte Menschen, die sich nicht mehr selbst helfen können.
Der besondere Stolz des Bischofs ist die Francis-Maria-Libermann-Schule. Mehr als 700 Mädchen und Jungen unterschiedlicher Religionen kommen von beiden Inseln, um in dieser Tagesschule eine gute Ausbildung zu erhalten. Die Idee dahinter ist einfach: Dass Kinder zusammen spielen, essen und lernen, ist ein Wert an sich, der Freundschaften entstehen lässt und die Zukunft einer Nation mit gegenseitigem Respekt für die Werte des anderen ausmacht.
Der beruflichen Bildung von jungen Menschen hat sich das Ausbildungszentrum für Handwerker und Hotelfachleute in Machui verschrieben. Die Ordensgemeinschaft der Missionsschwestern vom Kostbaren Blut hatte vor 16 Jahren die Initiative zur Gründung ergriffen, in dem heute mehr als 50 Jugendliche eine hochqualifizierte Berufsausbildung erhalten. Dass dazu auch Hotelfachleute gehören, ist kein Zufall, denn auch die Kirche glaubt daran, dass der Tourismus eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung Sansibars sein kann. Einige Fährunglücke, vor allem aber die Negativ-Schlagzeilen um den aufkeimenden Islamismus, haben der Tourismusbranche einen Einbruch beschert. Machten vor wenigen Jahren noch mehr als 100.000 Urlauber jährlich den früheren arabischen Handelsknoten zum Zugpferd des tansanischen Tourismus, erliegen inzwischen deutlich weniger Touristen den kulturellen und naturgegebenen Reizen Sansibars.
Mit den Sehnsuchts-Suchenden hielten allerdings auch Drogen und Aids Einzug. Sozialarbeiter der Kirche kümmern sich um die Betroffenen, besorgen HIV-Infizierten Medikamente oder bewahren Familien nach dem Tod eines erkrankten Angehörigen vor dem sozialen Absturz. All die kleinen und großen Engagements der Kirche unterstreichen ihren festen Willen, das harmonische Zusammenleben der Religionen auf der Nelkeninsel bewahren zu wollen. Islamischen Extremisten mag es gelingen, diese Harmonie auf eine Bewährungsprobe zu stellen. Gefährden, so scheint es, können sie sie aber nicht.
Von Franz Jussen
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