Arbeit und Religion 3.0
Internet und Handy haben unsere Welt verändert. Mit der Technik wandelt sich eine Gesellschaft in allen Bereichen: Wirtschaft und Arbeit, Kirche und Kultur. Religion und Arbeitswelt sind auch in Zukunft eng verknüpft, meint der katholische Zukunftsforscher Erik Händeler.
Leben in der Computerwelt: Das Internet und Spiele wie Second Life, aber auch die ganze Technik, verändern unsere Wirtschaft und Religion. Foto: epd-Bild
Sie verabreden sich im Internet, reagieren über das Handy auf neue Entwicklungen, erfahren über Satellitenfernsehen, was ihnen bisher unbekannt blieb: Neue Technik versetzte die Menschen in den arabischen Ländern in die Lage, sich selber eine Meinung zu bilden und die bestehenden Strukturen zu destabilisieren. Das zeigt: Innovationen verändern nicht nur die Wirtschaft und die Arbeitswelt. Sie verändern die ganze Kultur einer Gesellschaft und damit auch die Religiosität und die Kirche. Der heutige Strukturwandel von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu wissensbasierter Arbeit verändert Hierarchien, Verhaltensweisen und ökonomische Erfolgsmuster: Je mehr Arbeit von immaterieller Gedankenarbeit abhängt, umso mehr sind wir auf das Teilwissen anderer angewiesen. Dies berührt die seelischen Schichten der Menschen, denn es erzwingt Zusammenarbeit auf Augenhöhe sowie Transparenz, Versöhnungsbereitschaft, Authentizität statt Statusorientierung, Kooperationsfähigkeit statt Ellenbogen und eine langfristige Orientierung. Das alles sind zentrale Inhalte des Christentums: Das Optimum der Kirche, ihre Hochzeit, liegt daher nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft.
Arbeit ist weltweit nicht mehr so sehr, Materielles mit den Händen zu bearbeiten. Schrauben, fräsen, montieren haben uns die Roboter weitgehend abgenommen. In Zukunft ist Arbeit in Industriegesellschaften vor allem immateriell: Eine Situation analysieren, Neues entwickeln, entscheiden. In der gigantischen Wissensflut gilt es jenes Wissen zu finden und anzuwenden, das man braucht, um ein Problem zu lösen. Dabei geht es nicht mehr so sehr um Einzelleistungen, sondern um die Produktivität von Gruppen und deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit. Weil der Einzelne ein Fachgebiet immer weniger überblicken kann, sind wir zunehmend auf das Wissen anderer angewiesen. Statt des gehorsamen, austauschbaren Rädchens der alten Industriegesellschaft wird jeder Einzelne zu einem unverzichtbaren Spezialisten. Seine Bedeutung ist nicht mehr von einer Hierarchie abhängig, sondern schwankend von der tagesaktuell geforderten Kompetenz. Das wirklich Neue ist etwas Soziales: Umgang mit Wissen ist immer Umgang mit anderen Menschen, die wir unterschiedlich gut kennen, unterschiedlich gerne mögen und mit denen wir unterschiedlich viele Interessenskonflikte haben.
Veränderungsdruck in allen Kulturen
Es mangelt noch an Verhaltensweisen, die den Wissensfortschritt fördern. Und es mangelt an einer ausreichend sachlichen und fairen Kultur des Umgangs miteinander. Der Krieg in deutschen Büros verursacht Produktivitätsverluste in Milliardenhöhe, nicht nur durch die gesundheitlichen Folgen von Mobbing und Burn-out. Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil „der“ Mensch eben „so“ sei, verkennt den ökonomischen Veränderungsdruck: Wer Informationsarbeit nicht effizient löst, bekommt in Zukunft ein „Kostenproblem“ und wird vom Markt verschwinden. Der wirtschaftliche Wettbewerb wird zu einem Wettbewerb der Kulturen und der sie prägenden Religion. Er erzwingt Verhaltensänderungen, die überall weh tun werden, besonders aber in jenen Regionen der Welt, wo sie gruppenreligiöse oder andere traditionelle Werte-Gebäude zum Einsturz bringen.
Weltweit am weitesten verbreitet sind noch ein Sozialverhalten, eine Ethik und eine religiöse Weltanschauung, die auf die eigene Gruppe bezogen sind – nationalistisch, rassistisch, eben gruppenethisch. Unter dem sozio-ökonomischen Druck besserer Wissensarbeit werden sie nun aufbrechen. In patriarchalischen Kulturen und in Stammeskulturen werden alte gesellschaftliche und religiöse Hierarchien entwertet. Die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern und zwischen den Generationen werden völlig neu geordnet. Das ist der Hintergrund, wenn etwa erzürnte Taliban Mädchenschulen niederbrennen.
Doch es wird nicht zu einem Kampf der Kulturen kommen, etwa an der Bruchstelle zwischen USA, islamischer Welt, Asien oder Europa. Alle Kulturen sind nun wirtschaftlich gezwungen, effizienter mit Informationen umzugehen. Das führt zu einem Kampf innerhalb der Kulturen, zwischen Gruppenethik („Ich mache alles für mein Volk/meine Religion und wer außerhalb davon steht, darf gnadenlos bekämpft werden“), Individualethik („Ich mache, was ich will“) und Universalethik („Ich habe echtes Interesse am gleich- berechtigten Wohlergehen des anderen“, „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“).
Beispiel Indien: Wenn jemand sich weigert, von seinem Chef Anweisungen entgegenzunehmen, weil der einer niederen Kaste angehört, dann kostet solches Denken viel Geld. Das wird entweder zur Entlassung oder zur Verhaltensänderung führen oder aber zur wirtschaftlichen Stagnation. Ebenso ergeht es Kulturen, wo viele nicht mit Frauen oder „Un- gläubigen“ zusammenarbeiten wollen. Wenn ein islamischer Theologe anfängt, den Koran kritisch zu hinterfragen – was hat Mohammed von Juden und Christen übernommen, was muss man aus dem Zeitkontext verstehen –, und deshalb Morddrohungen erhält und nach Europa emigrieren muss, dann lähmt das Synergien. Wenn es in einem System nicht erlaubt ist, Dinge kritisch zu hinterfragen, dann wird es nicht produktiv sein. Europa hat wegen seiner kulturellen Wurzeln große Chancen, das neue Paradigma umzusetzen. Nachdem der Eiserne Vorhang gefallen ist und die ehemals abgeschnürten Verbindungen wieder zum Leben erwachen, wird ein neuer Kontinent sichtbar, der trotz seiner Vielfalt kulturell, wirtschaftlich und politisch immer mehr zusammenfindet. Er hat seine Sprachen in die Welt exportiert, viele Menschen in anderen Regionen sind Nachkommen seiner Auswanderer. Umgekehrt leben in europäischen Metropolen kleine Gemeinden von fast jeder Nation der Welt. Das verbindet Europa mit vielen Ländern auch emotional und erleichtert den ständigen Austausch von Waren und Ideen. Am Ende werden jene Firmen und Kulturen bestehen, die am produktivsten mit Wissen umgehen: Dort werden die Mitarbeiter mit-denken und für ihr Fachgebiet die Verantwortung übernehmen. Sie denken nicht nur an ihren eigenen Nutzen, sondern beachten den Gesamtnutzen und haben ein echtes Interesse am gleichberechtigten Wohlergehen anderer. Dahinter steht immer die Begründung für eine Ethik, der Glaube. Und der ist im Christentum das Verhalten Gottes: Er begegnet dem Menschen auf Augenhöhe, um ihn in Freiheit für sich zu gewinnen. Religionen werden weltweit darin miteinander konkurrieren, wer am besten eine kooperative Kultur herstellen kann.
Von Erik Händeler
Weitere Informationen unter www.neuearbeitskultur.de
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