Freiwillige Helfer der ASC fühlen sich durch die Beziehung zu Immigranten beschenkt. Foto: ASC |
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Fremde zu Freunden machen
Immigranten in Italien
28.08.2013 - Die Anbeterinnen des Blutes Christi im italienischen Apulien stehen an der Seite der Immigranten. Sie sind überzeugt: Kulturelle Verständigung schafft Frieden.
Wegbereiter und Brückenbauer werden. Menschen sein, die Kontakte knüpfen. Diese Aufgabe haben sich die Anbeterinnen des Blutes Christi (ASC) im italienischen Bari gestellt. Dafür wandelten sie ihr Lehrerinnenseminar in ein Wohnheim für Asylanten um, damit Einwanderer in Apulien, vor allem in der Stadt Bari, sozial und kulturell eine Heimat finden können. Das begann vor 27 Jahren.
Heute herrscht ein Gedränge vor dem Haus. Viele junge Männer und einige Frauen mit Kindern warten mit Papieren in den Händen. Bei der aufsteigenden Sonne suchen sie Schatten unter den Bäumen und dem blühenden Oleander. Dann geht die Tür auf. Eine kleinere, grauhaarige Klosterfrau tritt heraus. Die Schwester kommt näher, sagt „Hallo“ und lächelt. In ihren Begegnungen wird sie mit den leidvollen Schicksalen der Asylanten konfrontiert. Obwohl das oft ein Gefühl von Ohnmacht hinterlässt, sagt sie, sei es eine Gnade, hier tätig sein zu dürfen. Ohne die Unterstützung ihrer Klostergemeinschaft, ohne den Austausch mit den Mitarbeitenden könnte sie diese Aufgabe nicht bewältigen.
Ein Aufatmen und fröhliches Händeschütteln macht die Runde unter den Wartenden. Sie spüren, sie werden ernst genommen und menschenwürdig behandelt. Die 62-jährige Schwester Antonietta Vinci asc ist Leiterin des Asylanteninstituts „Culture e lavoro Istituto Preziosissimo Sangue“ – kurz CeLIPS – (Kostbar-Blut-Institut für Kultur und Arbeit). Jahrelang war sie vorher im gleichen Haus Lehrerin, und als junge Frau ist sie hier zur Schule gegangen. Es ist ein Ort, wohin sich jeder Fremde wenden kann, aber auch Italiener, die Interesse an Interkulturalität haben, kommen. Sprachkurse und Seminare über die italienische Kultur werden angeboten. Internationale Feste und Begegnungen finden statt und Kurse für Alphabetisierung und Informatik, für Musik und Volkskunst.
Ein Tor zum Osten und Süden
Das CeLIPS ist ein Tor zum Osten und zum Süden, das offen steht, um Menschen aufzunehmen. Denn: „Ohne Integration droht Revolution“ meint Sr. Antonietta ernst und fügt hinzu: „Das Institut wird in der letzten Zeit immer mehr zu einem Ort der Begegnung. Das erfordert von uns immer wieder neue Formen des Planens und des Unterrichtens.“
Bari ist eine multikulturelle Stadt am Mittelmeer. Mit und für Migranten arbeiten die ASC dort schon seit 1986 in den Räumen des ehemaligen Lehrerinnenseminars „Borea Angeli“. Ihr Projekt nannten sie „Polis interculturale Mediterranea – P.I.M“. Als sie CeLIPS 2001 als Dachorganisation gründeten, wurde P.I.M. eingegliedert und trägt weiter Sorge für die Einwanderer und für alle, denen interkulturelle Arbeit wichtig ist. Im P.I.M. ist Antoniettas Mitschwester Rosaria Villani tätig. „Uns sind Integration, die Erziehung zur Einheit in der Verschiedenheit, die Erleichterung der Eingliederung von Einwanderern in die lokale Gesellschaft und die Überwindung von sozialer Ausgrenzung sehr wichtig“, erklärt sie ihre Arbeit.
Die Aufgaben von P.I.M. sind nur mit Hilfe vieler Freiwilliger möglich, die ihr Wissen und ihre Zeit gratis zur Verfügung stellen. Für sie ist dieses Volontariat eine Schule der Solidarität. Sie bringen ihre Fähigkeiten ein und werden sich zugleich der lokalen und weltweiten Probleme bewusst „Das Volontariat in P.I.M. hat eine soziale, religiöse und kulturelle Ausrichtung. Gefragt ist ja das persönliche Zeugnis, das die Werte der Toleranz, Gewaltlosigkeit, Freiheit und des Friedens fördert“, ist sich Sr. Rosaria sicher.
Ein Problembewusstsein schaffen
In den 27 Jahren sind in diesem Asylantenzentrum unerhörte Früchte gereift: Die Zahl der Mitmachenden hat alle Erwartungen übertroffen. Jährlich sind es über 90 Jugendliche aus allen erdenklichen Nationen, die sich engagierten und an Weiterbildungen teilnahmen. „In ihren Augen kann man anfangs die Angst vor dem Fremden lesen. Aber mit der Zeit strahlen alle vor Freude“, stellt Sr. Rosaria zufrieden fest, „denn besonders junge Menschen sind nicht nur interessiert, sondern begeistert von dem, was sie lernen und was sie tun“. In ihrem Engagement für Zuwanderer und Heimatlose setzen so die Jugendlichen ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und erinnern daran, was die Bibel verkündet: „Gott liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung. Auch ihr sollt die Fremden lieben“ (Dtn 10,18-19). In Apulien hat Einwanderung eine lange Tradition, und die Schwester weiß: „Asylanten sind sehr verschieden. Man muss unterscheiden, warum und woher diese Menschen kommen: Schule, Arbeit, Krieg. Jedes Umfeld sieht anders aus“, resümiert sie.
In Artikel 2 der Regionalverfassung von Apulien heißt es, die Region sei „aufgrund der vielhundertjährigen Geschichte der Kulturen, Glaubensbekenntnisse, des Christentums und des Fleißes der Völker, die hier leben, und weil das Land offen und sonnig am Meer liegt, eine Brücke Europas nach Osten und Süden“. Das gilt in Bezug auf Kultur, Wirtschaft und Friedensarbeit. „Heute ist Apulien zerstückelt, aber diese Zerstückelung schafft nicht nur Zerstreuung und Verwirrung, sondern bietet auch Reichtum und fördert den Dialog“, meint die Klosterfrau optimistisch.
Überfüllte Auffanglager
Wenn man die Lage der Immigranten in Apulien mit der in andern Teilen Italiens vergleicht, stellt man fest, dass in Apulien viel mehr Flüchtlinge ohne Aufenthaltsbewilligung leben. In Palese, einem Stadtteil von Bari, sieht man unter den billig bezahlten Handlangern fast nur noch fremde Gesichter. Alle Zentren für Einwanderer sind überfüllt. Man denke nur an das Auffanglager C.A.R.A., wo 1200 Personen leben, obwohl die Gebäude nur für 740 gedacht waren. Ein Zentrum für Flüchtlinge, deren Antrag abgelehnt wurde, war für 196 Personen geplant. Jetzt leben dort 450. Die Situation verschlimmert sich laufend, da ständig neue ankommen. Die Region Apulien wird immer mehr zum Übergangslager, das die Flüchtlinge zur zweifachen Auswanderung zwingt: nach Italien und von dort nach Norden“, listet Sr. Antonietta die dramatische Situation auf.
Weil die Arbeit mit Migranten immer intensiver wird, ist bei CeLIPS Flexibilität gefragt. Ein Auffangbüro wurde eingerichtet, um Ausländern geeignete schnelle Hilfen anzubieten, um an ihrem neuen Wohnort selbständig zu werden und sich wirtschaftlich und gesellschaftlich einzugliedern. Zu den Aufgaben des Infobüros gehören: der Empfang und die erste Prüfung der Anfrage des Bittstellers. Danach folgen die Analyse und Beurteilung der Bitte und der Kontakt mit dem zuständigen Amt. Weil die meisten kein Italienisch sprechen und oft Analphabeten sind, helfen die Mitarbeitenden beim Ausfüllen von Formularen. Bekommen Asylsuchende eine Aufenthaltbewilligung, werden sie in Sprach- und Ausbildungskurse aufgenommen. Außerdem bietet das Büro Beratung für Gesundheitsvorsorge, Familiennachzug und Rechtsbeistand. Wenn die Zahl der Menschen vor dem Haus klein geworden ist, ziehen sich einige Mitarbeitende zurück, um die angenommenen Dokumente zu studieren. Es ist fast jeden Tag ein schier endloser Haufen von Bitten, Empfehlungen, persönlichen Dokumenten der Asylanten, aber auch von Hinweisen, Beschwerden, Empfehlungen, Bitten, Vorschlägen, Mahnungen bezüglich der Bedürfnisse der Einheimischen.
„Wir meinen, dass wir anderen etwas geben. In Wirklichkeit aber bereichern sie uns. Das erfahren wir Schwestern und genauso unsere Freiwilligen“, resümiert Sr. Antonietta. Hat sie den schwer geprüften Menschen heute mit ihrem freundlichen Gruß und ihrem Lächeln ein wenig geholfen? In ihrer prekären Lage und mit ihren oft extrem leidvollen Erfahrungen klammern die sich an jedes gute Wort, jede positive Geste der Einheimischen und schauen voller Hoffnung in die Zukunft.
Sich beschenken lassen
An Wochenenden organisieren Volontäre des CeLIPS die verschiedenen kulturellen, sozialen, erholsamen, gemeinschaftsfördernden Treffen, die informieren und bilden. Außer Vorträgen finden auch einige Feierlichkeiten statt, um Einheimische und Fremde zusammenzubringen. So wird Fremdheit Schritt für Schritt auf beiden Seiten überwunden. Denn Europäern und Nordamerikanern ist es bewusst, dass der Alltag ohne Zuwanderer in vielen Bereichen nicht zu bewältigen wäre, auch wenn manche Politiker anderes behaupten. Umso wichtiger wird es, Wege zu suchen, die uns zueinander bringen. Denn wo Menschen aufeinander zugehen, die Angst voreinander verlieren und Vorurteile abbauen, da öffnen sich Türen und Herzen, und ein Aufbruch in eine gute gemeinsame Zukunft wird möglich.
Von Sr. Marija Pranjic
Dieser Artikel stammt aus dem kontinente-Eigenteil der Anbeterinnen des Blutes Christi. Mehr Infos dazu finden Sie hier.
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