Die Bücher­ka­me­le von Ga­ris­sa Da­mit Kin­der in den No­ma­den­dör­fern le­sen kön­nen, wur­de im Os­ten Ke­nias ei­ne Ka­mel­bi­b­lio­thek ge­grün­det. Je­de Wo­che zieht sie durch die Wüs­te.

Text: Ni­co­la Mei­er; Fo­tos: Ma­ria Irl

Mit ei­nem dump­fen Knall schwingt der De­ckel der Schatz­tru­he zu. Zwei Män­ner bü­cken sich, pa­cken die Tra­ge­grif­fe der schwe­ren Holz­kis­te, ei­ner rechts, ei­ner links. Sie sch­lep­pen die Tru­he aus dem Ge­bäu­de auf den Hof, wo fünf Ka­me­le war­ten. Ei­nes kniet auf dem Bo­den, es hat ein Tra­ge­ge­s­tell aus Stroh­mat­ten und Holz­stan­gen auf dem Rü­cken. Dar­auf wuch­ten die Män­ner die Kis­te, ho­len ei­ne zwei­te und zur­ren bei­de Käs­ten mit Sei­len fest. Ein Ruf und das Ka­mel Ga­fa­ne steht auf. Auf sei­ner Flan­ke sind vier Buch­sta­ben ein­ge­brannt: KNLS. Das steht für „Ke­nya Na­tio­nal Li­bra­ry Ser­vice“, „Ke­nias Na­tio­na­ler Bi­b­lio­theks­di­en­st“. Ga­fa­ne ist ein ganz be­son­de­res Ka­mel – ein Bücher­ka­mel. Der Schatz, der in den Kis­ten auf sei­nem Rü­cken schau­kelt, sind Bücher.
Ab­dul­lahi Os­man, 30, und Ab­di­rah­man Ba­s­hir, 32, ar­bei­ten für die ein­zig be­kann­te Ka­mel­­bi­b­li­o­thek der Welt. Vier­mal die Wo­che pa­cken sie im Le­se­saal der Stadt­büche­rei von Ga­ris­sa zwei Kis­ten mit je 100 Büchern, um sie mit Ka­me­len dort­hin zu brin­gen, wo es sonst kei­ne Bücher gibt: zu den No­ma­den­dör­fern in der Um­ge­bung.
Kin­der drü­cken sich an den Zaun der Bi­b­lio­thek und be­o­b­ach­ten durch die Ma­schen aus Draht, wie Os­man, Ba­s­hir und zwei Ka­mel­füh­rer noch ein­mal den Sitz der Kis­ten über­prü­fen und die Ka­me­le zu­sam­men­t­rei­ben. Dann mar­schiert die Ka­ra­wa­ne, Bücher­ka­mel Ga­fa­ne voran, vom Hof. Auf der Haupt­stra­ße von Ga­ris­sa rum­peln Last­wa­gen durch Schlaglöcher, Au­tos knat­tern an Esels­kar­ren vor­bei. Un­ter den Soh­len knirscht der Kies, in den Au­gen brennt der Staub, er hat sich wie ein Film auf die Häu­ser und Hüt­ten ge­legt. Am Stra­ßen­rand gril­len Män­ner Mais, ver­sch­lei­er­te Frau­en ver­kau­fen Obst und Ge­mü­se. Aus den Laut­sp­re­chern der Mo­schee schallt schep­pernd der Ruf des Mu­ez­zins zum Ge­bet. Ga­ris­sa, die Haupt­stadt der Nor­d­ost­pro­vinz Ke­nias, ist knapp 400 Ki­lo­me­ter von Nai­ro­bi ent­fernt, und noch wei­ter von der Küs­te im Sü­den Ke­nias, von Mom­ba­sa und sei­nen Strän­den.

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