Angst: Islamisten bedrohen die Ordensfrauen. Foto: Vogt/missio |
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Christen im Irak
Die Angst im Nacken
Wie ein Schwalbennest schmiegt sich das Rabban-Hormizd-Kloster in die felsigen Berge des Nordirak. Nach dem steilen Aufstieg bietet sich ein herrlicher Blick über die Niniveh-Ebene. Heute leben nur noch wenige Mönche in dem Kloster, das auf das siebte Jahrhundert zurückgeht. Doch die Idylle trügt. Christen und andere Minderheiten im Irak sind sich ihres Lebens nicht mehr sicher. Ein Bericht von einer gefährlichen Reise.
Über die Ebene kann man fast bis nach Mossul sehen, der Hauptstadt der Provinz Niniveh. Das Kloster Rabban Hormizd liegt im von kurdischen Milizen kontrollierten Nordirak, nur wenige Kilometer weiter jedoch beginnen die der Zentralregierung in Bagdad unterstellten Gebiete. Während es im kurdischen Norden relativ sicher ist, gibt es im Zentralirak fast täglich Terroranschläge. Es ist noch keine 24 Stunden her, dass wir Mossul verlassen haben und uns wieder frei bewegen können. Wir wollen uns ein Bild von der Lage der Christen im Irak machen und prüfen, wie missio helfen kann.
Unsere Reise hat in Bagdad begonnen. Seit knapp zwei Jahren hat sich die Lage für Christen dort etwas verbessert. Waren sie vorher in manchen Stadtvierteln fast täglich Opfer von Entführungen oder Anschlägen, ist der Konflikt nun einer zwischen Sunniten und Schiiten geworden, den beiden großen islamischen Glaubensrichtungen. Und dennoch: Anschläge bleiben an der Tagesordnung, wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, den kann es treffen. Man geht nicht gern unnötig auf die Straße, lässt die Kinder nicht nach draußen. Niemand weiß, ob er vom Einkaufen wiederkommt. Wir können uns in der Stadt nur im gepanzerten Fahrzeug bewegen. Aber sollte es jemand auf unseren Wagen abgesehen haben, haben wir keine Chance, auch nicht mit den zwei Bewaffneten, die uns ständig begleiten.
Bei allen Besuchen in Bagdad gibt es nur ein Thema: Auswanderung. Die Menschen wollen weg. Weil sie Angst haben, weil die Jugendlichen keine Arbeit finden, weil sie die teuren Mieten nicht mehr bezahlen können, weil sie sich bedrängt fühlen von einem aggressiven Islam. Bei einem Gottesdienst am Sonntagabend können wir uns selbst ein Bild davon machen. Gut hundert Menschen haben sich in der Kirche eingefunden. Kaum ist der Priester an den Altar getreten, beginnt draußen ein ohrenbetäubender Lärm. Von der benachbarten Moschee dringen Koranverse herüber. Die plärrenden Lautsprecher sind direkt auf die Kirche gerichtet. Obwohl Fenster und Türen geschlossen sind, sind die Worte des Priesters kaum zu verstehen. Mein Herz zieht sich zusammen. Wie kann man sich in dieser Atmosphäre auf den Gottesdienst konzentrieren? Eine Stunde dauert die „Vorführung“ der Moschee, genau so lang wie die Messe. „Das ist jedes Mal so“, erklärt der Pfarrer. Die Botschaft ist eindeutig: Verschwindet von hier; wir werden euch keine Ruhe lassen!
Angst vor Anschlägen
Viele sind schon weg; die anderen wollen gehen. Weit mehr als die Hälfte der Christen hat Bagdad verlassen. Für die, die geblieben sind, gibt es wenig Hoffnung. Auf dem Weg nach Hause hören wir im Stadtzentrum plötzlich einen lauten Knall. Der Fahrer wird nervös, drückt aufs Gas. „Eine Explosion!“ vermutet sein bewaffneter Begleiter und greift zum Telefon, um seine Frau anzurufen. Die Kinder sind zu Hause – Gott sei Dank, alles in Ordnung bei der Familie! Noch schneller als sonst rasen wir durch die Stadt, passieren mit Sondergenehmigung die zahlreichen Checkpoints. Unsere Begleiter beruhigen sich erst wieder, als wir in unserem Quartier angekommen sind. Das Patriarchat, in dem wir untergebracht sind, ist weiträumig vom Militär abgeriegelt. Das Gelände ist einigermaßen sicher. Aber wir haben an diesem Tag einen Eindruck bekommen, wie die Menschen sich fühlen müssen: als Minderheit bedrängt und in ständiger Angst vor Anschlägen.
Nicht besser ist es in Mossul im Nordwesten des Landes. Eine Übernachtung dort wäre zu gefährlich, denn fast täglich kommt es zu Entführungen. Aber tagsüber hält der Erzbischof einen Besuch für möglich – allerdings nicht überall in der Stadt, denn aus den südlichen Stadtteilen haben sich Militär und Polizei ganz zurückgezogen. Dort herrscht die Terrorgruppe ISIS – Islamischer Staat in Irak und Syrien. Die Terroristen haben Christen und andere Minderheiten vertrieben. Von den Menschen, die geblieben sind, erpressen sie Schutzgelder. Das gilt auch für andere Stadtviertel. So erzählen uns Schwestern, dass sie ihr Kloster nicht mehr verlassen können. Selbst das Altenheim auf der gegenüberliegenden Straßenseite mussten sie aufgeben und einen Teil der Bewohner ins Kloster umquartieren, obwohl dort kaum Platz ist. „Ihr missioniert hier“, haben die islamistischen Fundamentalisten ihnen vorgeworfen und ihnen den Ausgang verboten. Die Schwestern haben keine Wahl. Was mit denen passiert, die nicht kooperieren, erfahren sie immer wieder. Vermummte kommen nachts, legen Sprengstoff in den Häusern und sprengen sie in die Luft. Den Betroffenen bleibt nur die Flucht.
Bischof entführt und tot aufgefunden
Genauso haben es Terroristen 2004 mit dem Bischofshaus gemacht. Das Gebäude ist völlig verwüstet, das Kreuz auf dem Dach haben die Terroristen heruntergerissen. Der damalige Erzbischof, Paulos Faraj Raho, wurde im Februar 2008 entführt und wenig später tot aufgefunden. „Wir sind niemandes Feind, und für diejenigen, die uns als Feinde behandeln, wollen wir beten“, steht auf seinem Grab. Wahrscheinlich hat er geahnt, dass er sein Leben für diese Vision würde hingeben müssen. Für den Besuch in der Altstadt von Mossul steigen wir in einen alten Wagen um, um weniger aufzufallen. Eine Schwester begleitet uns. Am Eingang zur Altstadt müssen wir das Auto stehen lassen. Schnell drängt uns die Ordensfrau in eine der engen Straßen, um zu vermeiden, dass wir von zu vielen gesehen werden. Durch verwinkelte Gassen führt sie uns zu den ältesten Kirchen der Stadt. Lange war Mossul das Zentrum der irakischen Kirche. Bis zum Irakkrieg 2003 lebten noch viele Christen in der Stadt. Seitdem versuchen die meisten wegzuziehen. An einen Verkauf ihrer Häuser ist aber kaum zu denken. Die islamistischen Terroristen verlangen 25 Prozent vom Verkaufspreis, bei Christen und anderen Minderheiten sogar 50 Prozent! Wer sich nicht darauf einlässt, wird umgebracht. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verlassen wir Mossul. Wir atmen tief durch, als wir den Checkpoint zum sicheren Kurdengebiet passiert haben. Aber unsere Gedanken bleiben bei den Menschen, die nicht weg können. Welche Zukunft haben sie? Wie ist christliches Leben für sie weiter möglich? Die Antwort kennen wir nicht, mir kommt nur ein Satz des Patriarchen von Bagdad, Louis Raphael Sako, in den Sinn: „Wir sind eine Märtyrerkirche – das ist unser Charisma.“
Von Matthias Vogt
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