Großer Topf: Für 300 Mahlzeiten Maisbrei ist Körpereinsatz gefragt. Foto: Stark |
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Burkina Faso
Ausgestoßen im Alter
04.11.2013 - Altenheime als flächendeckende Einrichtungen gibt es im westafrikanischen Burkina Faso nicht. Das Zentrum Delwende in der Hauptstadt Ouagadougou ist eine Ausnahme: Hier leben 300 alte Menschen, vor allem Frauen. Häufig sind sie, als „Hexe“ gebrandmarkt, von ihren Familien verstoßen worden. Sie kümmern sich weitgehend selbst um ihre Versorgung, hoffen aber auf ein wenig Zuwendung und Anerkennung.
Es geht geschäftig zu im Zentrum „Delwende“. Drei Frauen rühren mit dicken Stäben in einem großen Pott Maisbrei, andere ernten im Garten Möhren, wieder andere sitzen auf dem Boden vor ihrem Zimmer und verarbeiten Baumwolle zu Garn. Es sind nicht Hochbetagte oder Menschen mit Demenz, die Aufnahme in der Einrichtung gefunden haben, sondern überwiegend Frauen, die noch selbst mit kleinen Tätigkeiten zu ihrem Lebensunterhalt beitragen können. Zwar hat das Leben seine Spuren in ihren Gesichtern hinterlassen, aber pflegebedürftig sind sie nicht.
Die Weiße Schwester Maria Weis erinnert daran, dass alte Menschen traditionellerweise einen hohen tellenwert in der westafrikanischen Gesellschaft haben. Warum aber müssen dann diese Frauen fernab von ihren Familien in einem Altenheim leben? „Viele von ihnen wurden der Hexerei beschuldigt“, sagt die Afrikamissionarin. „Wenn etwa in ihrem Heimatort ein junger Mensch plötzlich gestorben ist, sucht die Dorfgemeinschaft nach einer Erklärung und einem Sündenbock.“ Dabei geht es abenteuerlich zu. Die Ordensfrau berichtet, dass einmal nach dem Tod eines Jungen der Leichnam von vier Männern durch das Dorf getragen wurde. Für alle sei klar gewesen: In dem Haus, an das der Leichnam stößt, lebt der für den Tod Verantwortliche.
Häufig sind es ältere, wehrlose Frauen, die beschuldigt und zum Opfer werden. Ein Weiterleben im Dorf ist für sie dann nicht mehr möglich. Ausgestoßen machen sie sich auf den Weg in die Hauptstadt, wo das Zentrum „Delwende“ bekannt dafür ist, solche Frauen – in seltenen Fällen auch Männer – aufzunehmen.
„Stütze dich auf Gott“: Das heißt der Name „Delwende“ übersetzt. Gestützt auf Gott und auf die Gemeinschaft versuchen die Frauen, ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu geben. Sie haben eine Sprecherin gewählt, leben in zwölf Gruppen zusammen, von denen jede reihum für eine Woche verantwortlich ist für die Zubereitung des gemeinsamen Mittagessens. Um die Mahlzeiten am Morgen und am Abend muss sich jeder selbst kümmern. In einem großen Garten, der direkt neben den Unterkünften liegt, bauen die Frauen unter anderem Weißkraut, Zwiebeln, Salat, Auberginen und Möhren an. Kleine Kanäle durchziehen die Erde, das aus dem Wasserrad gepumpte Nass fließt zielgerichtet zu den einzelnen Beeten.
Das, was die Frauen über den Eigenanbau hinaus noch benötigen, kaufen sie auf dem Markt: Mais, Bohnen und Hirse. Ein wenig Geld verdienen sie selbst, etwa durch den Verkauf von Baumwollgarn. Ansonsten helfen Spenden, an nötige Medikamente oder Nahrungsmittel zu kommen. In kleinen Zimmern leben meist mehrere Frauen zusammen, einfache Matratzen auf dem Boden dienen als Schlafstätte. Tagsüber stellen die Frauen die Matratzen an die Wand, um mehr Platz zu bekommen.
Traumatische Erlebnisse
Die Bewohner des Zentrums materiell zu versorgen sei eine Sache, sagt Schwester Maria Weis. Eine ganz andere sei es, auf ihre oftmals traumatischen Erlebnisse angemessen zu reagieren und ihnen zu vermitteln, dass sie Menschen mit Würde sind. Die Frauen leiden darunter, vom Dorf und ihrer Familie ausgestoßen zu sein, sie vermissen ihre Kinder und Verwandten, fühlen sich fremd und nutzlos. Manche Familien haben den Kontakt zu ihrer Mutter nicht ganz abgebrochen, sie kommen hin und wieder zu einem kurzen Besuch. Der soziale Druck sei aber meist so groß, dass sie es nicht wagen, die Frauen zurückzuholen.
Seit einiger Zeit gibt es das Projekt „Adoptiere eine Mutter“. Jüngere Menschen aus der Umgebung, meist Frauen, übernehmen ein besonderes Patenamt für eine der älteren Frauen. Sie besuchen sie regelmäßig, hören in intensiven Gesprächen zu, schauen, was dringend benötigt wird. Wichtige Beziehungen seien auf diese Weise entstanden. „Die älteren Menschen sind so froh, wenn sie auch etwas geben können und sei es auch nur eine Handvoll Erdnüsse“, sagt Maria Weis. Die Afrikamissionarin, die sich um die Verwaltung des Zentrums kümmert, das der Stadt gehört, bleibt nicht bei der täglichen Fürsorge stehen. „Es ist wichtig, dass wir die Situation der Frauen, die hier leben, bekannt machen. Dass wir Aufklärungsarbeit leisten und Sensibilisierungskampagnen durchführen.“
Die Weißen Schwestern sprechen mit Verantwortlichen von Staat und Bischofskonferenz, sie informieren im Radio und in Pressekonferenzen, sie laden zu Filmabenden und Diskussionen ein. Am eindrucksvollsten bisher aber war ein Marsch durch Ouagadougou – gemeinsam mit den Bewohnern des Zentrums Delwende –, um gegen die Ausstoßung zu demonstrieren. „Gesetze allein werden nicht helfen“, ist Schwester Maria überzeugt. „Die Mentalität muss sich ändern.“
Was das heißt? Wahrzunehmen, dass jeder Mensch die gleiche Würde besitzt, ob Arm oder Reich, Mann oder Frau, Jung oder Alt. Und dass man es sich zu einfach macht, wenn man Unglücksfälle, Schicksalsschläge und Streitereien auf „Sündenböcke“ abwälzt.
Von Eva-Maria Werner
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