Brückenbauer in den BergenIm Südosten Bangladeschs liegt eine wilde Bergregion, die die Regierung hermetischvom übrigen Land abschottet. Muslime drängen die christlichen Bergvölker immer weiter ins Abseits. Ein barfüßiger Bischof und Schwestern im weißen Sari bleiben trotzdem. |
Text: Beatrix Gramlich; Fotos: Hartmut Schwarzbach
Die Fahrt hierher hat Stunden gedauert – von der lärmenden Hafenstadt Chittagong die Küste entlang in den wilden Südosten Bangladeschs: Eine Bergregion, jahrzehntelang von Unruhen geprägt und bis heute von der Regierung in Dhaka streng überwacht. Kurvige, enge Passstraßen führen hinein ins Gebirge, dessen dichte Wälder in der Dämmerung manchmal indische Elefanten durchqueren und in dem die Nachtbusse nur mit Polizeischutz fahren. Die Luft wird frisch und kühl und scheint leichter als im übrigen Land, das sich in weiten Teilen unter den Meeresspiegel duckt. Auf den Trampelpfaden neben der Straße sind Grüppchen von Schulkindern und Frauen mit ausladenden Bündeln Feuerholz auf dem Kopf unterwegs. Hier und da breitet sich in der Senke ein Reis- oder Getreidefeld aus, in dessen schwere Erde Bauern die Hacke schlagen.
In den „Chittagong Hill Tracts“ leben überwiegend „Tribals“, indigene Volksgruppen, die mit den Bengalen im Tiefland wenig gemein haben. Seit Jahrhunderten haben sie sich ihre Kultur bewahrt; jede Gruppe hat ihre eigene Sprache, ihre eigene Tracht, ihre eigenen Tänze. Als Bangladesch 1971 unabhängig wurde, trennte sie fortan nicht nur eine Grenze von ihren indischen Verwandten. Die neue Regierung lehnte es auch ab, sie wie die britischen Kolonialherren vor Zuwanderung zu schützen und die Herrschaft der Tribal-Könige anzuerkennen. Die Bergvölker organisierten den Widerstand. Erst aufgrund restriktiver Sicherheitsmaßnahmen und massiver Militärpräsenz ist es in jüngster Zeit sicherer geworden. Trotzdem – in die „Hill Tracts“ zu fahren, ist, als würde man in ein anderes Land reisen: Schlagbäume sperren die Zufahrtswege, Grenzpolizisten kontrollieren jeden, der das Gebiet betritt oder verlässt. Fremde bekommen nur mit Sondergenehmigung und unter strengen Auflagen Zutritt.
Lama ist eine der wenigen größeren Ortschaften in den Hill Tracts – ein Dorf mit einer Handvoll Steinhäuser und ein paar Dutzend Bambushütten, wie hingeworfenen inmitten der grünen Hügel. Hier lebt eine Schwesterngemeinschaft der „Little Handmaids of the Church“, eine einheimische Kongregation.
Das Leben der Menschen teilen
Die Ordensfrauen im weißen Sari wollen ihren Glauben in den abgelegenen Gegenden weitergeben und das einfache Leben der Menschen teilen. „Die Leute sehen, dass wir fast alles genauso machen wie sie“, erklärt Schwester Hashi. Die 44-Jährige steht vor einem Wohnheim, das die Ordensfrauen in Lama für die Kinder aus den Bergdörfern unterhalten – hinter ihr drei Dutzend aufgeregte Jungen und Mädchen. Tagelang haben sie sich auf dieses Ereignis vorbereitet, Blumengirlanden geflochten, Blüten gesammelt, immer wieder die alten Tänze geprobt. Mit mühsam unterdrückter Ungeduld warten sie akkurat aufgereiht am Eingangstor. Kaum ist der Wagen des Bischofs um die Ecke gebogen, hebt das Harmonium an zu einer wehmütigen Weise. Das für Bangladesch typische Instrument erinnert an ein liegendes Akkordeon, dem die Bassknöpfe fehlen. Während seine Spielerin mit einer Hand den Balg betätigt, variiert sie mit der anderen immer wieder dieselben fünf Töne. Jungen und Mädchen in der Tracht der Bergstämme bewegen sich anmutig zu der fremdartigen Melodie. Sie tanzen den „Goril“, einen traditionellen Tanz der Tripura.
Die Tripura sind die drittgrößte Volksgruppe in den Hill Tracts, unter ihnen gibt es die meisten Christen. Bangladesch ist ein muslimisches Land, Christen stellen lediglich 0,3 Prozent der Bevölkerung. In der riesigen Flächendiözese Chittagong mit ihren 33 Millionen Einwohnern gibt es ganze 40.000 Katholiken – die Hälfte von ihnen unter den Bergbauern. Aber das ist für Bischof Moses Costa, der gerade freundlich lächelnd in einem Regen von Blütenblättern steht, nicht maßgebend. „Mein Ansatz ist Universalität“, sagt er . „Wir gehen zu jedem.“ Kaum ist die offizielle Begrüßung vorbei, drängen sich Jungen und Mädchen um ihn, damit er sie segnet. Geduldig legt der Bischof seine Hand auf unzählige schwarze Haarschöpfe und spricht ein kurzes Gebet. Er weiß, wie viel den Menschen diese Geste bedeutet. „Oft kommen Bauern aus abgelegenen Dörfern in die Missionsstation und bitten, dass wir ihre Kinder in unsere Wohnheime aufnehmen“, erzählt der 63-Jährige. „Wir nehmen vor allem die Armen, die neu Getauften und diejenigen, die sich fürs Christentum interessieren.“
Die sogenannten „Hostels“ stehen in den zentralen Orten der Hill Tracts. Viele Jungen und Mädchen aus den Bergen haben nur eine Chance, zur Schule zu gehen, wenn sie hier einen Platz bekommen. Die Eltern wissen, dass ihre Sprösslinge in der Obhut der Kirche gut aufgehoben sind. Denn Pfarrer und Schwestern, die die Wohnheime betreuen, leisten nicht nur wertvolle Erziehungsarbeit. Sie leben auch vor, was christlicher Glaube bedeutet. Bischof Costa baut diese Einrichtungen deshalb bewusst aus. Er nennt sie „eine gute Art der Evangelisierung“.
Die jedoch ist in den Hill Tracts alles andere als einfach. „Wir können nicht einen Schritt machen, ohne dass sie uns beobachten. Wir müssen immer vorsichtig sein“, sagt Pfarrer Kachol Gomes. Der Oblatenpater ist niemand, der sich schnell einschüchtern lässt. Aber er hat schon oft erlebt, wie Polizei und Militär ihn zu schikanieren versuchen. Sie tauchen unvermittelt auf und wollen wissen, wie viele Menschen er wieder zum Christentum bekehrt habe. Oder er erfährt nach stundenlangen Fußmärschen, dass die Besuchsgenehmigung, die er für zahlreiche Dörfer seiner Pfarrei braucht, plötzlich nicht mehr gilt.
Nachts kommen die Elefanten
Trotzdem liebt er seine Arbeit und die Menschen in den Bergen. Besonders in der Advents- und Fastenzeit bitten sie darum, dass der Priester sie besucht. Doch Pater Kachol kommt nie alleine, sondern immer im Team: Ein Katechist, ein Gesundheitsarbeiter und zwei Schwestern der „Little Handmaids“ begleiten ihn. „Wer würde sich um die Leute kümmern, wenn wir nicht hier wären?“, fragt der Pfarrer lakonisch.
Auch auf seinem Grundstück steht ein Wohnheim – eine Bezeichnung, die in Anbetracht der primitiven Unterkünfte reichlich übertrieben klingt. In der Regel bestehen die Hostels aus ein, zwei dunklen Schlafsälen. Ihre wenigen Habseligkeiten stapeln die Kinder ringsum an den Wänden, zum Schlafen rollen sie abends auf dem Holzboden die Bastmatten aus. Draußen gibt es Plumpsklos und einen Brunnen. Trotzdem geht es den meisten hier besser als zu Hause. In Kolajhiri jedoch, wo Oblatenpatres vor 50 Jahren ihre Mission in den Hill Tracts begannen, haben die Schüler Angst. Das Wohnheim mit seinen altersschwachen Wellblech-Bauten steht ein wenig abseits vom Dorf. Hin und wieder kommt es vor, dass nachts ein Elefant durch den Lattenzaun bricht und sich rüde den Weg zum Gemüsebeet bahnt.
Das Haus der Schwestern in Lama ist zwar neuer, Komfort aber sucht man auch hier vergeblich. Die Ordensfrauen teilen sich die Schlafzimmer, ihre Küche ist ein offener Verschlag unter freiem Himmel. Am Feuer hockt eine Frau und wendet Blumenkohl in einer Blechpfanne. Sie trägt eine schlichte Bluse, dazu den gewebten Rock der Tripura. Schwester Hashi hat sich umgezogen. Auch mit ihrer Kleidung wollen die „Little Handmaids“ zeigen, dass ihr Platz hier in den Bergen mitten unter den Menschen ist. Ihre Tür steht allen offen. Den ganzen Tag über kommen Leute: Einer sucht Rat in einer Familienangelegenheit, ein anderer bittet die Schwestern um ihr Gebet, der Nächste um ein Mittel gegen Fieber. Im Hauseingang steht ein Schränkchen mit Medikamenten. Immer wieder verschwindet eine der Ordensfrauen, um etwas herauszusuchen. Der nächste Arzt ist Kilometer entfernt und zerebrale Malaria in den Hill Tracts ein Riesenproblem. Oft kommt auch für kirchliche Mitarbeiter jede Hilfe zu spät.
Wenig haben, viel geben
„Wir gehen in die Dörfer, geben Katechismusunterricht, leiten Gebetsgruppen, besuchen die Kranken und machen Gesundheitsaufklärung. Aber wir können den Menschen nichts geben“, sagt Schwester Hashi. Dennoch leisten die Ordensfrauen eine Menge. Vor allem lieben und respektieren sie die Menschen, so wie sie sind. „Die Muslime benehmen sich anders“, erzählt Bischof Costa. Schon lange beobachtet er, wie sich islamische Bengalen Grund und Boden aneignen, auf dem die Bergvölker seit Generationen leben. Sie erschleichen sich das Land mit gefälschten Besitzurkunden und drängen die Tribals in weniger fruchtbare, schwer zugängliche Gebiete ab. Radikale Muslime locken die Kinder unter falschen Versprechungen in Koranschulen. Allein in den vergangenen vier Jahren sind 35.000 solcher „Madrasas“ entstanden.
Warum tragen die Bäume Tücher?
Moses Costa geht einen anderen Weg. Am Nachmittag läuft er mit den Schwestern nach Tongoghiri, ein Dorf in der Nähe von Lama. Der Pfad ist schmal, bei jedem Schritt muss man aufpassen. Am Hang fallen dem Bischof einige Bäume auf, die Tücher um den Stamm tragen. Ein kultischer Ritus? Schließlich sind die Bergvölker ursprünglich Anmisten. Auch wenn sich heute viele zum Christentum bekennen, spielt der Aberglaube noch immer eine große Rolle. Aber Moses Costa winkt ab. Er glaubt, dass die Lappen mit einer Lösung getränkt sind, um Schädlinge zu bekämpfen.
Kaum hat die kleine Gruppe den Ort erreicht, strömen die Menschen zusammen. Gestandene Männer, alte Frauen mit hundertfach um den Hals geschlungenen Glasperlenketten, schmutzstarrende Kinder scharen sich um den Bischof. „Meine Arbeit ist draußen“, sagt er, während er unzählige Hände schüttelt. Man sieht ihm an, wie gerne er hier ist: an der Seite der Armen, Benachteiligten, an den Rand Gedrängten. Für sie schlägt sein Herz, für sie will er weniger Bischof, als vielmehr Hirte sein. Immer wieder bleibt er stehen, um zuzuhören, um zu begreifen, was die Menschen bewegt. Er grüßt Frauen, die vor ihren Bambushütten in Webstühlen sitzen, und klopft an Türen, hinter denen sich bittere Armut auftut. Mit dem Dorfchef überlegt Moses Costa, ob sie eine Grotte mit Marienstatue aufstellen sollen. „Die Menschen brauchen etwas für ihr Gefühl“, erklärt der Bischof. „Sie brauchen etwas Sichtbares.“ Die Schwestern haben sich derweil mit den Kindern in eine Hütte zurückgezogen. „Gott hat den Himmel geschaffen“, schallt es aus einem Dutzend Kehlen. Die Frauen singen vor, Jungen und Mädchen wiederholen im Chor. „Was gibt Gott uns noch?“ – „Den Fisch, die Bäume, die Menschen!“ Die Antworten sprudeln nur so und werden jedes Mal in einen neuen Liedvers verwandelt. „Morgens sitzen wir hier mit den Kindern zusammen, nachmittags mit den jungen Leuten, abends treffen wir die Erwachsenen und beten gemeinsam“, erklärt Schwester Champa. Ihre Art der Evangelisierung ist einfach. Sie holt die Menschen da ab, wo sie stehen.
„Es ist für uns alle ein Lernprozess“, sagt der Bischof. „Wir müssen die Kultur der Bergvölker berücksichtigen. Denn viele Werte des Evangeliums wie den Respekt vor dem Alter finden wir in ihrer Gesellschaft. Wenn wir mit etwas völlig Neuem kommen, verschrecken wir sie.“ Andere gehen weniger behutsam vor. Die Unternehmen zum Beispiel, die die Bergbauern überreden wollen, auf einmal Tabak anstelle von Reis und Getreide anzubauen. Diejenigen, die sich darauf einließen, haben sich durch den Kauf von Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden völlig verschuldet. Mit den Toilettenhäuschen, die die Firmen in den Dörfern aufgestellt haben, konnten sie wenig anfangen. Pfarrer Kachol muss lachen, als er erzählt, wie er sie bei seinen Besuchen benutzen wollte: „Sie haben Feuerholz darin gestapelt!“
Der Bischof zieht die Schuhe aus
Vor dem Haus des Dorfoberhaupts streift der Bischof seine Plastiksandalen ab – ein Zeichen des Respekts, auch wenn er als Ehrengast den Platz unter dem Hauptpfeiler bekommt. Die „Kinderstunde“ ist zu Ende. Jetzt setzt sich der Bischof mit den Männern auf dem Boden zusammen. Die Unterhaltung ist mühsam, denn nur die Jüngeren beherrschen die Amtssprache Bangla. Aber auch die Sprachen der Bergvölker sind schwierig. Die Ordensschwestern kostet es viel Zeit und Mühe, sie zu lernen – vor allem, da es keine Lehrbücher gibt. Moses Costa plaudert ein wenig, macht ein paar Scherze. Dann fragt er, warum ihre Hütten auf Stelzen stehen und sich eigentlich niemand auf den Friedhof traut. „Nun ja“, erklären die jungen Leute und drucksen ein wenig herum. Geister gebe es überall – besonders dort, wo die Toten seien. „Die Geister kommen aus der Erde. Wir stellen unsere Häuser nicht auf den Boden, damit wir weiter entfernt von ihnen sind.“ Der Gast mustert sie mit seinen warmen, wachen Augen und schmunzelt. Allmählich legen die jungen Leute ihre Scheu ab. Jetzt will er doch wissen, was es mit den Tüchern an den Bäumen auf sich hat. Sie hätten nicht getragen, erklärt einer. „Aber wir wissen, dass es männliche und weibliche Pflanzen sind. Da haben wir den weiblichen Frauenkleider umgebunden.“
Am Abend feiert der Bischof Gottesdienst. Die Leute sind von weit her in die armselige Wellblech-Kirche von Lama gekommen. Wer spät ist, muss sich den Weg durch Reihen von abgestellten Gummisandalen bahnen. Vorne am Altar steht Moses Costa und breitet die Arme aus. Unter seinem Messgewand blitzen nackte Füße hervor.
Sie möchten mehr kontinente lesen? Bestellen Sie hier Ihr kostenloses Probeabo.
Zurück zur Nachrichtenübersicht November/Dezember 2013
Beliebt: Bischof Moses Costa ist in den Bergen ein willkommener Gast.
Wehmütige Weisen: Das Harmonium ist ein typisches Instrument für Banglasch.
Betreut: Die Schwestern helfen ihren Schützlingen bei den Hausaufgaben.
Betrogen: Radikale Muslime locken Kinder in Koranschulen. Dort lernen sie wenig.
Traditionell: Die Bergvölker bauen ihre Bambushütten auf Stelzen – zum Schutz vor Nässe, aber auch vor Geistern, die aus der Erde kommen.
Abgestellt: Gummilatschen vor der Kirche.
Bescheiden: Wie alle anderen betritt auch der Bischof das Gotteshaus barfuß.
Geliebt: Die alte Hajoni freut sich, dass Schwester Champa sie besucht.
Neugierig: Wenn die Ordensfrauen im Dorf sind, ist das für die Kinder ein Ereignis.
Nah dran: Bischof Costa sucht den Kontakt.
Kontakt | FAQ | Sitemap | Datenschutz | Impressum |