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Kirchliche Gesundheitsversorgung
Barmherzigkeit rettet Leben
Ist die kirchliche Gesundheitsversorgung in Afrika noch zeitgemäß, entspricht sie dem medizinisch Gebotenen? Ein Blick auf die Methoden der Familienplanung lässt Zweifel aufkommen. Ein Diskussionsbeitrag der Missionsärztin Marlies Reulecke.
Die Gründe für die hohe Mütter- und Kindersterblichkeit in Afrika sind vielfältig. Laut Weltgesundheitsorganisation ließen sich aber die meisten dieser Todesfälle vermeiden. Eine der Voraussetzungen dafür ist ein allen zugängliches Gesundheitssystem, das die von den Vereinten Nationen in der Globalen Strategie für Frauen und Kindergesundheit empfohlenen Leistungen anbietet. Dazu gehören neben Impf- und Ernährungsprogrammen auch der Zugang zu Schwangeren-Vor- und -Nachsorge, Geburtshilfe, Familienplanung und die qualifizerte Versorgung von Neugeborenen. Das Misssionsärztliche Institut, die katholische Fachstelle für internationale Gesundheit in Würzburg, stellt immer wieder fest, dass kirchliche Gesundheitseinrichtungen weltweit ein leicht zugängliches und kostengünstiges Angebot für Mütter und Kinder zur Verfügung stellen. Wegen der im Vergleich zu staatlichen Einrichtungen hohen Qualität werden kirchliche Einrichtungen überdurchschnittlich genutzt. Sie leisten einen enormen Beitrag zur Verbesserung der Mutter-Kind-Gesundheit. In mehreren Ländern Afrikas findet die Hälfte der Versorgung von Müttern und Kindern in kirchlichen Einrichtungen statt.
Möglichkeiten bleiben ungenutzt
Unzählige Ordensgemeinschaften engagieren sich in der Gesundheitsversorgung, auch in krisengeschüttelten Ländern wie Simbabwe, Liberia oder Süd-Sudan. Im Kongo fragt der Staat zunehmend die Diözesen an, staatliche Einrichtungen zu übernehmen, damit diese wieder funktionsfähig werden. In ländlichen Gebieten der ärmeren Länder Afrikas betreibt die katholische Kirche häufig das einzige funktionierende Krankenhaus oder Gesundheitszentrum. Dank ihrer Basisnähe durch die sogenannten „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ wirkt die Kirche in die kleinsten Zellen des Zusammenlebens hinein. Sie ist mit ihren gesundheitsfördernden Maßnahmen direkt bei den Armen präsent.
Dennoch bleiben Möglichkeiten ungenutzt. So wird der Familienplanung als Beitrag zur Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit nicht genügend Beachtung geschenkt. Teil der Ursachen der Mütter- und Kindersterblichkeit sind kurz aufeinanderfolgende Schwangerschaften, die hohe Anzahl von Kindern pro Frau und das jugendliche oder fortgeschrittene Alter schwangerer Frauen und Mütter. Mit Familienplanung ist der Einsatz von natürlichen und nichtnatürlichen Methoden gemeint, die dazu dienen, den Abstand zwischen Geburten zu beeinflussen, sei es wegen gravierender medizinischer Risiken, den sozialen Folgen für Mütter und deren bereits lebende Kinder, oder anders ausgedrückt, der moralischen Verpflichtung zu „verantworteter Elternschaft“.
Die Haltung der Kirche gegenüber Fortpflanzung und Familienplanung übt in Afrika einen starken Einfluss auf das Leben der Gläubigen aus. In Afrika, also dort, wo es die höchsten Mütter- und Kindersterblichkeitsraten gibt, wird Familienplanung sehr beschränkt angewandt. Hier müsste die Kirche ihre hohe Wertschätzung gezielt einsetzen, um lebensfördernde Familienplanung zu stärken.
Die Angst vor den Konsequenzen
Wenn in kirchlichen Einrichtungen Familienplanung angeboten wird, bezieht sich dies entsprechend der Haltung der Kirche allein auf natürliche Methoden. Das Verbot des Einsatzes künstlicher Methoden zur Familienplanung wird nirgends in Frage gestellt und Diskussionen zum Thema werden nicht angeregt.
Als Konsequenz entspricht die Arbeit in den Gesundheitseinrichtungen nicht immer dem medizinisch Gebotenen. Das heißt, es wird nicht ausreichend auf Risiken zu dicht aufeinanderfolgender Schwangerschaften und die Möglichkeiten, diese zu vermeiden, hingewiesen. Nichtnatürliche Methoden zur Familienplanung werden zum Teil mit Abtreibung gleichgesetzt, eine verantwortliche Auseinandersetzung mit dem Ziel, Mutter-Kind-Gesundheit zu fördern, wird vermieden. Fragen, inwieweit die Lebenssituation von Frauen, die oftmals von einer totalen Abhängigkeit vom Mann und mangelnder Entscheidungskompetenz geprägt ist, es zulässt, natürliche Methoden anzuwenden, werden nicht gestellt. Als Konsequenz müsste man schließlich der Frau eine von der katholischen Kirche nicht akzeptierte Methode empfehlen.
Auf Nachfrage stellen sich in den verschiedenen Ländern sehr unterschiedliche Szenarien dar: Familienplanung wird in einigen Einrichtungen völlig ignoriert, an anderen Stellen wird nur über die natürliche Familienplanung gesprochen, während es auch Zentren gibt, die über alle Formen der Familienplanung informieren, ohne aber Verhütungsmittel zur Verfügung zu stellen. In seltenen Fällen werden Verhütungsmittel von Ordensschwestern nach Einzelfallprüfung zur Verfügung gestellt, ohne dass darüber berichtet wird.
Auf Nachfrage geben diese Schwestern an, der Bischof habe deutlich gemacht, dass er sich in diese Angelegenheiten des Gesundheitszentrums nicht einmischen wolle. Es gibt weitere Beispiele, wo Bischöfe ihr Augenmerk auf die reale Situation richten und entsprechend handeln. So berichteten Schwestern, dass sie während des Krieges auf Geheiß ihres Bischofs nichtnatürliche hormonelle Verhütungsmittel genommen haben, um den Folgen erwarteter Vergewaltigungen vorzubeugen. Aber auch über diese barmherzigen Praktiken wird nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.
Leben von Müttern und Kindern retten
Da jedoch eine angepasste Familienplanung dazu beiträgt, das Leben von Müttern und Kindern zu retten, muss dieses Thema in der Kirche breit und mutig diskutiert werden. Hier sehe ich dringenden Bedarf für eine „unaufschiebbare, kirchliche Erneuerung“, zu der Papst Franziskus in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ aufruft: „Die Seelsorge unter missionarischem Gesichtspunkt verlangt, das bequeme pastorale Kriterium des ‚Es wurde immer so gemacht‘ aufzugeben. Ich lade ein, wagemutig und kreativ zu sein, in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungsmethoden der eigenen Gemeinde zu überdenken (...) Ich rufe alle auf, großherzig und mutig die Anregungen dieses Dokumentes aufzugreifen, ohne Beschränkungen und Ängste.“ Auch wenn Papst Franziskus seine Forderung nicht in den Zusammenhang dieses konkreten sozial-pastoralen Handelns gestellt hat, meine ich, sie in der kirchlichen Familienplanung aufgreifen zu können.
Auch eine intensivere Auseinandersetzung der Kirche mit dem Thema Gewalt gegen Frauen gerade in der Ehe ist dringend notwendig. Besonders in Afrika südlich der Sahara wird das Potenzial der Kirche, als Fürsprecher von Frauen und Kindern zu dienen und aktiv gegen ungerechte und diskriminierende, schädliche kulturelle Praktiken vorzugehen, nicht genügend genutzt. In Gesprächen mit Priestern im Osten des Kongo wurde deutlich, dass sie es noch immer nicht für nötig erachten, das Thema in ihren Gottesdiensten anzusprechen. Auf Nachfrage werden Vergewaltigungen auf das Militär oder Rebellen geschoben. Dass Jahre nach dem Ende des Krieges noch immer Frauen vergewaltigt werden, und zwar auch von Zivilisten aus ihrer Nachbarschaft, scheint nur medizinischem Personal und Sozialarbeitern bekannt zu sein. Auch der Tatbestand einer Vergewaltigung in der Ehe ist dortigen Priestern eher fremd. Somit wird kein Handlungsbedarf gesehen, sich für die Belange der Frauen einzusetzen.
Es geht hier nicht um die Vermeidung von Geburten, sondern um die Planung der zeitlichen Abfolge von Geburten. Gerade in Afrika möchten Frauen nicht auf Kinder verzichten. Sie verschaffen ihnen Status, Ansehen und Würde. Aber ohne Familienplanung kommt es zu Schwangerschaften, die mit einem hohen Risiko für Frau und Kind einhergehen. Allein durch das Einhalten eines vernünftigen Abstandes zwischen den Geburten – Frauen sollten erst wieder schwanger werden, wenn ihr jüngstes Kind zwei Jahre alt ist – könnte jeder vierte kindliche Todesfall vermieden werden. Der Abstand ermöglicht es der Frau, sich körperlich zu erholen, wodurch auch das Ungeborene im Mutterleib besser versorgt wird, besser wächst und die Chancen steigen, das Kind bis zum Termin austragen zu können. Reife, nach neun Monaten geborene Kinder, haben ein geringeres Risiko zu sterben.
Gleichzeitig ermöglicht ein angemessener Abstand zwischen zwei Schwangerschaften eine genügend lange Stillperiode. Kinder, die beim Eintritt der nächsten Schwangerschaft abrupt abgestillt werden, rutschen oftmals in die Unterernährung, die in Kombination mit Infektionen über einem Drittel der kindlichen Todesfälle zugrunde liegt.
In den Entwicklungsländern werden zwei von fünf Frauen ungewollt oder ungeplant schwanger, etwa 80 Millionen jährlich. Viele dieser Frauen stehen unter enormem Druck, so dass sie sich als letzten Ausweg zu einem Schwangerschaftsabbruch entschließen. Infolgedessen sterben jedes Jahr mehr als 40 Millionen Ungeborene. Die Frauen müssen mit den psychischen Folgen leben. Die meisten dieser Abbrüche werden unter unhygienischen Bedingungen von unqualifizierten Personen vorgenommen, oftmals mit gesundheitlichen Komplikationen. Ist ein Schwangerschaftsabbruch illegal, fehlt bei Komplikationen ein Zugang zur medizinischen Versorgung für diese Frauen, mit Folgen von Infektionen, starken Blutungen bis hin zum Tod.
Der Einsatz von natürlichen und nichtnatürlichen Mitteln zur Vergrößerung des Abstandes zwischen Schwangerschaften senkt die Gesundheitsrisiken für Mütter und Kinder in armen Ländern erheblich. Hier könnte die Kirche zeigen, dass ihr die barmherzige Fürsorge für das Leben von Müttern und Kindern wichtiger ist als das Festhalten an bisherigen Deutungen.
Fragwürdige praktische Anwendbarkeit
Ein Einzelschicksal: Odette, 25, aus dem Osten des Kongos hätte gerne den Abstand zwischen den Geburten ihrer Kinder vergrößert. Von anderen Frauen in der Kirche hatte sie gehört, dass es fruchtbare und unfruchtbare Tage gibt und man entsprechend Schwangerschaften planen könne. Doch wie hätte sie mit ihrem Mann darüber reden können? Wenn er getrunken hatte, wurde er gewalttätig, und sie musste machen, was er forderte. Als sie den Priester um Hilfe bat, sprach der nur von ehelichen Pflichten und dem Gehorsam der Frau. Und so wurde sie ein viertes Mal schwanger. Ihr ausgezehrter Körper entwickelte eine Blutung, an der sie starb. Wäre sie in das katholische Gesundheitszentrum gegangen, hätte man sie dort über die Möglichkeiten der Geburtenplanung aufgeklärt und ihr die natürliche Familienplanung ans Herz gelegt. Aber obwohl diese Familienplanung zum Erfolg führen kann, ist ihre praktische Anwendbarkeit gerade in ländlichen Gebieten Afrikas fragwürdig. Der Situation dieser Frauen steht eine Methode entgegen, die eine Kommunikation über Sexualität auf Augenhöhe zwischen den Partnern voraussetzt und das Verständnis des biologischen Zyklus seitens der Frauen verlangt.
Konflikte mit der Kirche vermeiden
Auch wenn dem Personal klar ist, dass viele Frauen nicht nur nicht mit ihren Partnern über Familienplanung reden können, sondern sogar häusliche Gewalt erleiden, gehen sie nicht darauf ein. Das Personal empfiehlt weiterhin Methoden natürlicher Familienplanung, um Konflikte mit der Kirche zu vermeiden.
Hormonelle oder Barriere-Methoden wie Kondome sind in Situationen von Gewalt, Zwang und ungewollter Schwangerschaft wirksamere Alternativen zur natürlichen Familienplanung. Durch sie kann das Sterberisiko gesenkt werden. Müssten sie nicht im Einzelfall eingesetzt werden dürfen, um schwerwiegende Krankheitsfolgen und einen vorzeitigen Tod zu verhindern?
Von Marlies Reulecke
Die Autorin Dr. med. Marlies Reulecke, 52, ist Fachärztin für Chirurgie und Master of Science in Internationaler Gesundheit; neunjähriger Aufenthalt im Niger als Leiterin eines Missionskrankenhauses. Seit 2007 ist sie Referentin im Missionsärztlichen Institut Würzburg. Ihr Artikel ist unter dem Titel „Lebensrealitäten in den Blick nehmen“ in einer ausführlicheren Version in der Herder Korrespondenz 4/2014 erschienen.
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