Ein Schiff wird kommenFür Menschen aus entlegenen Ortschaften am Amazonas ist es kaum möglich, einen Arzt aufzusuchen. Das von den
Franziskanern betriebene Krankenhausschiff „Papst Franziskus“ bringt die medizinische Versorgung zu ihnen. |
Text und Fotos: Andrzej Rybak
Rötlich leuchtend geht im Osten von Terra Santa die Sonne auf. Es ist kurz vor sieben Uhr, die Straßen der 20 000-Einwohner-Stadt am Mittellauf des Amazonas sind leer, doch vor dem Hafengebäude haben sich bereits über zwei Dutzend Menschen versammelt. Der Grund für diese morgendliche Geschäftigkeit ist „Papst Franziskus“. Natürlich nicht der Papst selbst, sondern das Krankenhausschiff, das seinen Namen trägt. Weiß und rot bemalt, liegt das etwas klobige Schiff vertäut an einem schwimmenden Dock vor der Stadt. Die Menschen sind sichtlich aufgeregt und reden ununterbrochen miteinander. „Ich habe seit gut einem Jahr starke Schmerzen und warte auf die Gallenentfernung“, sagt Raimunda Castro. In der Regionalhauptstadt Santarem wurden alle OPs wegen der Pandemie aufgeschoben. Über mehrere Monate war auch der Passagierschiffsverkehr eingestellt, die Menschen sollten ihr Zuhause am besten nicht verlassen. Nun schöpft Castro neuen Mut: „Ich hoffe, dass mir die Ärzte an Bord helfen können.“
Im Auftrag des Papstes
Seit zweieinhalb Jahren fährt das von den Franziskanern betriebene Krankenhausschiff auf dem Amazonas und seinen Nebenflüssen, um in diesem entlegenen Eck Brasiliens die medizinische Grundversorgung zu gewährleisten. In seinem Einsatzgebiet leben rund 700 000 Menschen in etwa 1000 kleinen Gemeinden. „Die meisten Menschen hier können sich lange Fahrten in die Stadt zum Arztbesuch nicht leisten“, sagt der deutschstämmige Johannes Bahlmann, Bischof der Diözese Óbidos, die halb so groß ist wie Deutschland. „Also haben wir beschlossen, hochwertige medizinische Versorgung zu ihnen zu bringen – an Bord eines Schiffes.“ Bischof Bahlmann ist einer der Initiatoren des schwimmenden Krankenhaus-Projekts, das auf einen Auftrag von Papst Franziskus zurückgeht. Während seiner Reise zum Weltjugendtag in Rio de Janeiro 2013 besuchte der Papst ein Krankenhaus, das von der Gemeinschaft der „Franziskaner der göttlichen Vorsehung“ geleitet wurde. Sie betrieb damals über 60 Krankenhäuser, Pflegeheime und soziale Einrichtungen – war aber noch nicht in den Urwaldgebieten Amazoniens aktiv. „Da müsst ihr hin“, forderte der Papst den Generalsuperior Francisco Belotti auf – und der nahm sich die Worte des Kirchenoberhaupts zu Herzen. Mit Bahlmanns Unterstützung übernahm Belotti zuerst die staatlichen, von der Schließung bedrohten Krankenhäuser in Óbidos und Juruti. Doch beiden Kirchenmännern war schnell klar, dass damit der Bedarf an medizinischer Grundversorgung längst nicht gedeckt sein würde. Tausende Ribeirinhos, Menschen, die an den Ufern der Urwaldflüsse leben, konnten stationär kaum versorgt werden – ein Krankenhausschiff war die einzige Option. Belotti stellte die Idee im brasilianischen Fernsehen vor und fand kurz darauf eine Finanzierungsmöglichkeit: Das Arbeitsgericht in Campinas verurteilte die Shell-Tochter Raizen Combustivel wegen Kartellabsprachen zu einer Strafzahlung von 25 Millionen Real (damals etwa acht Millionen Euro) und suchte nach einem Sozialprojekt, um das Geld sinnvoll auszugeben – ein Krankenhausschiff schien genau das Richtige zu sein. Der Bau kostete etwa 15 Millionen Real, da blieb sogar etwas Geld, um die Betriebskosten in der Anlaufphase zu decken. Am 17. August 2019 taufte man das Krankenhausschiff offiziell auf den Namen Papa Francisco – es ist seitdem in Óbidos als Heimathafen stationiert. Die schwimmende Klinik ist 32 Meter lang und acht Meter breit. Sie verfügt über Behandlungszimmer für verschiedene Fachrichtungen, einen kleinen Operationssaal mit drei Aufwachbetten, eine Augenarzt-Klinik, Röntgen-, Mammographie- und Ultraschallräume, ein Labor, eine Apotheke und zwei Zahnarzt-Zimmer. „Papa Francisco ist das bestausgestattete Krankenhausschiff in ganz Brasilien“, sagt Franziskanerpater Joel Souza stolz. Er hat seit der Bauphase die Leitung des Projekts inne, ist für die minutiöse Planung der „Schiffsmissionen“ und gute Stimmung an Bord verantwortlich.
Andrang kam unerwartet
Das größte Problem: „Das Schiff ist etwas zu klein geraten, denn wir haben nicht mit dieser Anzahl Patienten gerechnet“, sagt Pater Joel. Deswegen wird Papst Franziskus auf seinen Fahrten von Papst Johannes Paul II begleitet, einem ehemaligen Passagierschiff, das am Tag als Wartehalle und Registratur für Patienten dient und sich nachts in eine Schlafstätte für Teile der Belegschaft verwandelt. Nach einer kurzen Messe beginnt um sieben Uhr die Arbeit. Draußen im Hafengebäude haben die Mitarbeiter des lokalen Gesundheitsamts eine Aufnahmestelle eingerichtet und legen für jeden Patienten eine provisorische Krankenakte an. Sie messen Blutdruck, nehmen Blutproben und kontrollieren das Gewicht. Von dort werden die Patienten an Bord von „Johannes Paul II“ geleitet und nehmen im Warteraum auf dem Schiff Platz. Der Andrang ist groß, jeden Tag suchen gut 300 Menschen das Schiff auf, aber die Abläufe funktionieren einwandfrei. Crew-Mitglieder, die während des Aufenthalts wenig zu tun haben, helfen in der Verwaltung, unter ihnen Pater Joel. Er wird von drei Schwestern des Ordens der Kleinen Missionarinnen der Unbefleckten Maria unterstützt, die immer dort helfen, wo gerade Not am Mann ist. Sie füllen etwa digitale Krankenakten aus oder weisen die Patienten den Ärzten zu. „Das ist bereits unsere 36. Mission, wir haben die Abläufe immer weiter verbessert“, sagt Pater Joel und lächelt zufrieden. Die Radiologie-Assistentin nickt: „Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt Franciana Welem. „Der Andrang wird aber jedes Mal größer.“
Die Schiffscrew und das feste medizinische Personal, insgesamt gut 20 Personen, leben in der 60 000-Einwohner-Stadt Óbidos, 1200 Kilometer von der Mündung des Amazonas in den Atlantik entfernt. Sie machen zwei Expeditionen pro Monat, die sieben bis zehn Tage dauern. Nach jeder Reise stehen sieben freie Tage an. Das Personal kennt die verfügbaren Geräte und Abläufe. Zu Expeditionsbeginn führen sie die Ärzte ein, die als Volontäre aufs Schiff kommen, ihren Job unentgeltlich verrichten und nach der Mission an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. Wie Carolina Rodrigues de Carvalho, Augenärztin aus Arcos im Bundesstaat Minas Gerais. „Ich habe neun Tage Urlaub genommen, um an der Expedition nach Terra Santa teilzunehmen“, sagt die 33-Jährige. „Jeder hat die Pflicht, bedürftigen Mitmenschen zu helfen.“ Sie glaubt, dass sie die Mission auch persönlich bereichern wird. „Ich lerne einen Teil unseres Landes kennen, in dem ich noch nie war.“
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