Text: Beatrix Gramlich, Fotos: Bettina Flitner
Für Dhauli Devi Coach schien es die perfekte Lösung: Als Gastarbeiterin ein paar Jahre ins Ausland – das bedeutete Geld, mit dem ihre Familie vielleicht ein besseres Haus bauen könnte. Es war die Aussicht, endlich genug zum Leben zu haben. Und die stille Hoffnung, ihrem Mann zu entkommen, der seinen halben Lohn versoff und sie regelmäßig schlug, wenn er wieder einmal betrunken von der Arbeit kam.
Leere Versprechen
Die 43-Jährige sitzt auf einer Matratze in ihrer ärmlichen Lehmhütte. Draußen wogen die Maisfelder, auf denen sie sich als Tagelöhnerin verdingt – wenn es genügend Arbeit gibt. Oft genug aber gibt es keine, und sie kehrt mit leeren Händen zurück. Zögernd, den Blick auf ihren Schoß gerichtet, erzählt sie von damals, als der Bekannte aus dem Dorf plötzlich wie ein rettender Engel auftauchte. Wie er die Golfstaaten und die Möglichkeiten, die sich dort boten, in den glühendsten Farben schilderte – selbst einer wie ihr, die nie zur Schule gegangen war! Die Agentur, für die er arbeitete, versprach er, würde ihr einen guten Job dort vermitteln.
Dhauli hatte von Klein auf gelernt, dass Frauen sich fügen müssen. In Nepals patriarchalischer Gesellschaft haben sie sich um Kinder und Haushalt zu kümmern und ansonsten besser den Mund zu halten. Doch nun nahm sie all ihren Mut zusammen und verließ nachts heimlich das Dorf. Ihre beiden älteren Söhne waren schon erwachsen. Um den 14-Jährigen würde sich die Großmutter kümmern.
Die Agentur nimmt den Pass ab
Am nächsten Morgen begann die Familie sofort, nach Dhauli zu suchen. Aber alle Spuren verliefen im Sand. Aus ihrem Dorf im Landkreis Jhapa im Südosten Nepals sind es nur 60 Kilometer bis ins Nachbarland Indien. Hier sollte Dhauli ins Flugzeug steigen. Kurz vor dem Grenzübertritt meldete sie sich bei dem Vermittlungsbüro, das der Bekannte ihr genannt hat. Ein Mitarbeiter nahm ihr den Pass ab und überreichte ihr ein Visum für Kuwait. Dort, hieß es, würde sie eine Stelle als Haus- mädchen erwarten.
350 Euro für zwei Jahre Sklavendienst
Doch kaum war Dhauli in dem Golfstaat gelandet, schickte die Agentur sie weiter nach Saudi-Arabien. Ein Mann dort hatte sie für seine sechsköpfige Familie gebucht. Dhauli musste den kompletten Haushalt machen. Sie stand morgens um fünf Uhr auf und schuftete bis kurz vor Mitternacht. Anders war die Arbeit nicht zu schaffen. Dhauli war die Dienerin, die ihren Herren jeden Wunsch zu erfüllen hatte. „Sie haben mich nicht als Mensch behandelt“, sagt sie. „Ich hatte oft Hunger, weil ich kein Essen bekam.“ Manchmal schlich sie sich in die Küche und machte sich heimlich Chapati – die Fladenbrote ihrer Heimat, die sie so liebte. Aber wenn es jemand herausfand, erntete sie zur Strafe Schläge. „Ich habe dich zum Arbeiten geholt und nicht zum Essen“, drohte der Hausherr. Nach zwei Jahren lieferte er Dhauli bei der Agentur ab und drückte ihr 50000 Rupien (350 Euro) in die Hand – der Lohn für zwei Jahre Sklavendienst.
Festnahme als Weg in die Freiheit
Dhauli wollte nur noch eins: so schnell wie möglich nach Hause. Doch die Agentur kassierte ihren Lohn ein und schickte sie in den nächsten Haushalt. Bei ihrer dritten Stelle landete sie in Kuwait: auf einem riesigen Anwesen, das eine steinreiche Familie bewohnte. Wieder musste Dhauli kochen, waschen, bügeln, putzen und sich dazu um die vier kleinen Kinder kümmern. Zwei Jahre hielt sie durch. Dann gelang ihr die Flucht. Der indische Fahrer ihres Dienstherrn hatte sie dazu ermutigt. Er hatte ihr klargemacht, dass die Agentur sie nie mehr gehen lassen würde. Ohne Pass und Papiere war sie Gefangene eines Systems, von dem alle profitieren: die Agenturen, deren Mittelsmänner, die gut betuchten Kuwaiter oder Saudis, für die die billigen Gastarbeiter die Drecksarbeit machen – nur Menschen wie Dhauli nicht. Ihre einzige Chance war, der Polizei in die Arme zu laufen. Die Festnahme wurde ihr Weg in die Freiheit.
Bittere Erkenntnis, große Scham
„Im Gefängnis ging es mir besser als bei der Arbeit. Es gab immer Essen“, erinnert sie sich. „Ich war mit 50 anderen Frauen in einer Halle eingesperrt. Alle kamen aus Nepal.“ Zwei Monate dauerte es, bis die Polizei mit der Botschaft ihres Heimatlands alle Formalitäten geregelt hatte. Dann setzten sie die junge Frau ins Flugzeug nach Kathmandu.
Seit zwei Jahren ist Dhauli nun zurück in ihrem Dorf. Zurück bei ihrem Mann, der mittlerweile als Kohlehändler durchs Land zieht und sie immer noch schlägt. „Ich kann nur hier leben, weil meine Söhne mir helfen“, gesteht sie. Die Erinnerung an die Golfstaaten würde sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis tilgen.
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